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Als Śantanu von der Begegnung mit den Fischersleuten in den Palast zurückkehrte, übergab der Tag gerade die Aufsicht über alle Wesen an die Dämmerung. Śantanu wollte niemanden sehen und mit niemandem sprechen, am allerwenigsten wollte er Devavrata begegnen.
Wie dem König bereits am ersten Stadttor berichtet wurde, war Bandhubandhu tatsächlich in den frühen Morgenstunden verstorben. Die ganze Stadt war darüber in Trauer und schon morgen früh sollte die Begräbniszeremonie stattfinden. Man unterrichtete den Herrscher über Hastinā weiter, dass Devavrata nicht im Palast angetroffen werden könne, sondern sich am Ort der Kremierung aufhalte, um alle notwendigen Vorbereitungen für das morgige yajña zu treffen.
 
Natürlich betrübte auch Śantanu die Nachricht vom Ableben des Lieblingselefanten seines Sohnes, aber andererseits kam ihm dieses Ereignis gerade recht, denn er hoffte, dass dadurch die Aufmerksamkeit des Hofes und der Einwohner der Hauptstadt auf das unerwartete Unglück gelenkt werde und er folglich niemandem Rechenschaft über den Tag und über den Grund für seine betrübte Stimmung abgeben müsse.
 
Darüber hinaus würde hoffentlich auch niemandem Śantanus Trauer besonders auffallen, da jeder davon ausgehen würde, dass seine Missstimmung vom Tod des Elefanten herrühren muss. Des enttäuschten Freiers Hoffnungen gingen auf. Tatsächlich waren alle so damit beschäftigt, Bandhubandhu eine angemessene Feuerzeremonie auszurichten und ihn zu ehren, dass Śantanus Rückzug von der Öffentlichkeit und den Regierungsgeschäften nur einigen wenigen Brāhmaṇas auffiel.
 
Selbst Devavrata wurde erst am vierten Tag nach Bandhubandhus Verbrennung misstrauisch. Am Tag des yajñas und am Tag danach war der Prinz hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, darauf zu achten, dass das Ritual entsprechend den vedischen Anweisungen ausgeführt wurde und die Brāhmaṇas mit allem versorgt waren, was sie benötigten. Den zweiten Tag hatte er damit verbracht, die Spenden an die Brāhmaṇas, an die Bedürftigen und an die Tiere zu überwachen und bei der Säuberung der Opferstelle zu helfen. 
 
Am dritten Tag schlief er bis weit in den Morgen und verbrachte den Rest des Tages bei Bandhubandhus Kindern und seiner Witwe. Auch sie vermissten natürlich ihren geliebten Vater und Ehemann und genossen den Trost des jungen Kriegers und die Zuwendung der anderen Elefanten.
 
Das sehr frühe Ableben Bandujis, wie ihn Devavrata immer genannt hatte, war allen ein Rätsel. Schon im Alter von 92 Jahren hatte er seinen Körper verlassen. Im Allgemeinen erreichten die Elefanten in Hastināpura, der Stadt der Elefanten, ein Alter zwischen 250 und 350 Jahren. Aber Devavrata wusste, dass man nicht alles erklären kann, was in dieser Welt geschieht. Geburt, Alter, Krankheit und Tod sind die vier Grundeinschränkungen für alle Lebewesen und kündigen sich selten vorher an. Meist erscheinen sie ungefragt und unbeherrschbar. 
 
Der Tod kam, wann immer er die Zeit für gekommen hielt. Da half auch kein noch so gutes Futter und da halfen auch keine noch so guten Ärzte. Wenn die Seele sich in einen neuen Körper zu begeben hat, kann nichts sie aufhalten, denn das Gesetz des Karmas ist unabänderlich und unüberwindbar. An diesem ehernen Gesetz konnte auch Devavrata nichts ändern. Daran konnte niemand etwas ändern, nicht einmal ein Indra, ein Vāyu, ein Agni, und nicht einmal Gaṅgā. Ja selbst der Herr des Todes selbst konnte dieses Gesetz nicht aufheben, selbst Yamarāja war ein Werkzeug in den Händen von Viṣṇus Energien.
 
Am vierten Tag endlich konnte sich der Prinz wieder mit voller Aufmerksamkeit seinem Vater widmen. Recht schnell fiel ihm auf, dass Śantanus Trauer eine andere Farbe hatte als erwartet. Der Kronprinz fragte sich, ob es für Śantanu neben dem Tod des Elefanten noch einen anderen Grund für solche tiefe Trauer gäbe.
 
Als sich Śantanu nach dem Frühstück schon mit einem kurzen Kopfnicken verabschieden wollte, trat Devavrata vor ihn und hielt ihn sanft am Arm fest. „Mein Vater“, begann Devavrata mit besorgter Stimme, „ich habe das Gefühl, dass dich etwas bedrückt. Etwas, das nicht mit dem Abschied von Bandhubandhu verbunden ist. Ist in den letzten Tagen etwas geschehen, wovon du mir berichten willst?“
 
Śantanu schaute an seinem Sohn vorbei in eine nicht vorhandene Leere, als er unwillig antwortete. „Nein. Nein, mein Sohn, es ist nichts. Die letzten Tage waren nur etwas anstrengend für mich. Ich bin nur traurig, weil ich weiß, wie sehr du an deinem Lieblingselefanten hingst. Es muss ein schwerer Schlag für dich gewesen sein.“ 
 
Devavrata sagte nichts, er schaute seinem Vater in die Augen und hielt ihn weiter am Arm. Er spürte, dass Śantanus Trauer über den Verlust des Elefanten echt war. Aber er spürte auch, dass da noch etwas anderes war, was seinen Vater belastete. Er sah es in den traurigen Augen seines Vaters, in seinem etwas ungekämmten Haar, in den leicht nach vorn gefallenen Schultern, in seinem langsameren Gang, in seiner Abwesenheit während der Audienzen, an seinem dürftigen Appetit, an dem Stirnrunzeln der Brāhmaṇas, und jetzt sah er es vor allem in Śantanus ausweichendem Blick.
 
Der junge Prinz wusste, dass Śantanu ein Geheimnis besaß, das er nicht teilen wollte. Nein, auch nicht mit seinem Sohn. Dies war neu für Devavrata und er entschied, nicht weiter in seinen Vater zu insistieren. Er musste das Geheimnis auf andere Weise ergründen. Er wusste auch schon wie. 
 
„Ja, es war ein schwerer Schlag. Aber ich werde mich nun verstärkt um Bandhujis Sohn bemühen. Lokabandhu ist auch ein sehr intelligenter Bursche. Und genau so wild wie sein Vater. Er wird einmal ein großer Anführer der Elefanten werden, ein wahrer gajendra.“ Devavrata trat ein wenig zur Seite und legte seinem Vater die Hand auf die Schulter. „Wenn du gestattest, o Nāreśa, dann möchte ich mich wieder zu den Stallungen begeben. Die Elefanten trauern noch und ich möchte helfen, sie aufzumuntern.“
 
Śantanu war erleichtert, dass Devavrata nicht weiter nachfragte. „Geh nur, es ist gut. Ich habe auch noch einiges zu erledigen. Wir sehen uns dann morgen früh. Jaya Śrī Rāma!“ Devavrata schaute seinem Vater noch nach, bis der alte König das Zimmer verlassen hatte. „Nun, ich habe meinen Vater nicht belogen, als ich sagte, ich wolle zu den Stallungen gehen. Natürlich werde ich bei Lokabandhu und seiner Mutter Gajamukta vorbeischauen. Aber ich werde mich auch auf die Suche nach Sunil machen. Er muss etwas wissen!“
 
Sunil zu finden gestaltete sich schwieriger, als der Sohn Gaṅgās gedacht hatte. In seinem Wohnhaus, das zwischen dem kaiserlichen Palast und den Stallungen lag, war er nicht. Bei den anderen Dienern und den Stallungen war er nicht, in der Küche und auch bei den Wagenlenkern war er nicht. Dann entdeckte Devavrata den jungen Kapildev, der irgendwie mit Sunil verwandt war und anscheinend aus dem gleichen Dorf wie er stammte.
 
Devavrata erfuhr von Kapildev, dass Sunil vor Jahren begonnen hatte, das Rāmāyaṇa in seine Stammessprache zu übersetzen. Dafür hatte er sich eine kleine Laubhütte etwas abseits des kaiserlichen Areals gebaut. Dorthin konnte er sich zurückziehen, wenn er an seiner Übersetzung arbeitete. Die Hütte war nur einen halben yojana entfernt und leicht zu finden. Das Schwierigste war für Devavrata, Kapildev davon abzuhalten, ihn zu begleiten. Er musste dem jungen Diener sogar befehlen, wieder an seine Arbeit zu gehen. Devavrata wollte in jedem Falle allein bei Sunil erscheinen, vielleicht löste er damit die Zunge des allseits hoch angesehenen Dieners etwas leichter. Es war bekannt, dass Sunil ziemlich stur sein konnte, wenn er wollte.
 
Sunil saß vor seiner Hütte im Schatten eines riesigen Banyanbaumes, der mehrere tausend Jahre alt sein musste. Als er seinen hohen Gast erblickte, erhob er sich sofort und brachte pancāṅga pranāma dar, Ehrerbietungen, bei denen neben dem Kopf noch vier weitere Körperteile den Boden berühren. Der alte Kauz war sichtlich verlegen ob des unerwarteten Besuches und stammelte: „Ich...Ich habe nicht mit euch gerechnet, Mahārāja. Ich bin etwas...Nehmt doch bitte Platz. Ich bringe euch gleich etwas Wasser.“ 
 
Noch bevor Devavrata ablehnen konnte, verschwand Sunil in der winzigen Hütte. Sich immer wieder verbeugend, erklärte er entschuldigend: „O Rājeśkumār, o ehrenwerter Sohn Gaṅgās, ich bitte um Vergebung, dass ich euch nicht mehr als einen Becher Wasser anbieten kann. Hätte ich gewusst... Ich hatte ja keine Ahnung. Ihr hättet mir sagen müssen, dass ihr kommen wollt. Ich meine, natürlich nicht müssen, vielleicht dürfen...oder können...oder...“
 
Devavrata beruhigte den armen Kerl. „Kein Grund zur Sorge, bester unter den Dienern. Du bist dāsarāja, der König aller Bediensteten. Jeder weiß um deine vollendeten Umgangsformen. Ich habe ausgiebig gefrühstückt und ich bin vollauf mit einem Becher Wasser zufrieden. Im Gegenteil, ich muss mich entschuldigen, dass ich einem so treuen Diener des Hauses der Kurus kein Geschenk mitgebracht habe. Aber ich komme in einer eiligen Angelegenheit.“
 
Sunil horchte auf. Das klang danach, dass er seinem geliebten Devavrata einen Dienst erweisen könne. Tränen schossen in Sunils Augen und leise antwortete er: „Mein Herr, ihr beschämt mich. Ich bitte euch – nennt mich nicht dāsarāja, ich bin kein König, auch nicht König der Diener. Ich bin rājadāsa – ein Diener des Königs. Wenn ich euch zu Diensten sein kann, so wäre das zu gütig für mich. Bitte befehlt mir und ich werde mich bemühen, euren Wunsch zu erfüllen. 
 
Es ist mein Dharma, die Wünsche eines jeden zu erfüllen, solange ich dem König und meiner Seele damit nicht schade. Bitte verratet mir euer Begehr, damit ich dem Sohn Gaṅgās eine Freude bereiten kann.“ Devavrata hatte Sunil sehr genau zugehört, denn Sunil war einer von diesen Menschen, die kein Wort zuviel und kein Wort zuwenig sprachen. Alles hatte seinen Sinn und seine Bedeutung.
 
„Solange ich dem König nicht damit schade“, hatte Sunil gesagt. Devavrata beschloss, noch mit seiner Frage zu warten. Vielleicht wäre es besser, vorher noch über etwas anderes zu sprechen, was ihn aber ebenfalls brennend interessierte. „Ich habe von Kapildev gehört, dass du das Rāmāyaṇa übersetzt. Dies ist eine lobenswerte, aber auch eine gewaltige Aufgabe, die du da in Angriff genommen hast. Aber wozu ist das nötig? Gibt es dieses edle Werk Vālmīkis in deiner Sprache etwa noch nicht?“
 
Sunils Augen begannen noch mehr zu leuchten, als sie es ohnehin schon taten. Offensichtlich hatte Devavrata ein Thema angeschnitten, das ihn sehr beschäftigte. „Mahārāja, wie ihr wisst, verfasste der glorreiche Vālmīki das Rāmāyaṇa in der Sprache der Götter. Und auch das von euch zitierte Rāmāyaṇa, das auf den himmlischen Planeten gesungen wird, ist in der Sprache der Devas komponiert. Doch in meinem Heimatland sprechen nicht alle Menschen diese Sprache.
 
In den östlichen Prinzen, im Lande der größten und schönsten Tiger, dort, wo sich deine ehrenwerte Mutter in den Ozean ergießt, leben viele Menschen, die der Sprache der himmlischen Wesen nicht mächtig sind. Vielleicht sind die Menschen dort nicht so gelehrt wie anderswo, aber sie sind ehrliche und aufrechte Menschen. Sie ehren Gaṅgāmātā und Śrī Viṣṇu und sie lieben es, den Göttern köstliche Speisen zu kochen. Manchmal sind sie ein bisschen zu leidenschaftlich, aber jeden Abend treffen sie sich um ein Lagerfeuer und singen über die Herrlichkeiten Śrī Rāmacandras und Śrī Haris.
 
Damit auch diese hingegebenen Seelen die unvergleichlichen Geschichten Sītās und Rāmas hören und verstehen können, übersetze ich diesen alten Text in meine Sprache. Aber ich bin kein Gelehrter, es ist eine sehr einfache Übersetzung. Ich hoffe, dass Sītā und Rāma damit zufrieden sind. Ich habe viele Jahre zum größten Diener aller Zeiten gebetet. Ich hoffe, dass Śrī Hanumān mich segnet und mich unterstützt.“
 
Devavrata war beeindruckt. Er hatte nie an die Notwendigkeit gedacht, die vedischen Texte in lokale Sprachen zu übersetzen, denn in den himmlischen Städten sprach jeder die gleiche Sprache. Seine Hochachtung vor Sunil wuchs mehr und mehr und er bedauerte, dass er nicht schon vorher mehr Zeit mit diesem weisen Mann verbracht hatte.
 
Aber etwas wunderte ihn doch. „Und wo hast du die Sprache der Devas gelernt? Immerhin ist diese Sprache ausgesprochen kompliziert und man benötigt sehr fähige Lehrer.“ Sunil nickte und erklärte: „Oja, ich habe viele, viele Jahre gebraucht, bis ich die Sprache erlernt hatte. Es war nicht leicht, geeignete Lehrer zu finden. Aber es war noch schwerer, als Schüler angenommen zu werden. Nun, ich bin ein einfacher Śūdra und viele Brāhmaṇas weigerten sich, mich zu unterrichten. Aber Viṣṇu sei Dank, nicht alle. Ich werde Bhakti Cāru Śāstri für ewig dankbar sein, dass er die Güte hatte, mich als śiṣya anzunehmen.“
 
Es entstand eine Pause. Sunils Gedanken wendeten sich vom Rāmāyaṇa wieder seinem Gast zu und voller Demut erbat er sich Auskunft. „O bester unter den Bogenschützen, o Juwel der Dynastie der Kurus, ihr seid sicherlich nicht gekommen, um mich nach meiner bescheidenen Übersetzung zu fragen. Was verschafft mir die Ehre eures Kommens? Bitte zögert nicht, euren Wunsch zu äußern. Was immer euer Begehr sei, ich will es euch gern zu Füßen legen, wenn es in meiner Macht steht. 
 
Solange ich nicht den Himalaya erklimmen muss oder mit Rāmvijaya, dem besten deiner Schlachtrösser, um die Wette laufen muss, stehe ich dir zu Diensten. Mein Körper ist leider nicht mehr der Neueste. Wenn mein altes Fahrzeug mir also keine Grenzen setzt, will ich euch jeden Wunsch erfüllen. Ihr müsst ihn mir nur mitteilen.“
 
Der junge Prinz war sehr zufrieden. Wenn tatsächlich etwas geschehen war, und alles deutete darauf hin, und wenn Sunil tatsächlich irgendetwas darüber wusste, dann könnte er es jetzt nicht mehr verbergen. Er hatte zwei Mal sein Wort gegeben. 
 
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