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Während das Floß sich unaufhaltsam der Insel näherte und allmählich den Blick freigab auf  eine große und eine kleinere Hütte, entfaltete sich vor Śantanus innerem Auge noch einmal der Tag, wie er sich bisher entwickelt hatte. „Am Morgen noch“, so erinnerte sich der alte Recke, „stand ich mit Devavrata vor dem Wagen, als Rāmśraddha angestürzt kam und alle meine Pläne zunichte machte.

All meine sorgfältig ausgearbeiteten Fragen und Nachfragen, all meine vorbereiteten Worte über die Höhle – in einem Augenblick waren sie unwichtig geworden. Dann entschloss ich mich, allein auszureiten. Ich sah die Śabra und schwelgte in Erinnerungen über meine Kindheit.

Und dann kam dieser Duft! Und ich fand die Quelle des Aromas, die apart, selbstbewusst und überdies auch körperlich ungewöhnlich stark ist, wenn ich mir überlege, wie schnell sie das Floß vorwärts bewegt. Vor ein paar muhūrtas noch wollte ich alte Anekdoten meiner Kindheit mit meinem Sohn teilen, und jetzt trete ich einem Fischer gegenüber, um ihn um die Hand seiner Tochter zu bitten. Wie heißt doch das alte Sprichwort: der Mensch denkt – und Viṣṇu lenkt.“

Der verliebte Kaiser spürte, wie sich zwar langsam, aber unaufhaltsam, das Gefühl einer gewissen Nervosität vom Magen aus über den gesamten Körper ausbreitete. Er versuchte sich einerseits zu beruhigen, andererseits aber auch anzufeuern. „Ruhe bewahren heißt jetzt das Gebot der Stunde. Was kann dir schon passieren? Du bist der Kaiser, du bist in den besten Jahren, du bist stattlich, du bist reich, du bist mächtig, du bist berühmt, du bist gelehrt, warum sollte dich ein Vater zurückweisen?

Aber wenn dieses Mädchen so viele gute Eigenschaften aufweist, warum war sie dann noch nicht verheiratet? War sie vielleicht verflucht? Oder war sie ..., mein Gott, daran hatte ich noch gar nicht gedacht, war sie womöglich eine Rākṣasī? Diese unangenehmen Zeitgenossen können jede Form annehmen, die sie wollen, zumindest für eine gewisse Zeit. Nein, nein, das kann ich ausschließen, sie können zwar ihr Aussehen ändern, aber innerlich bleiben sie die alten böswilligen, fleischfressenden Monster. Und diese Dame vor mir ist zweifellos von einem ganz anderen Charakter.“

Aber Śantanu kam noch ein anderer Gedanke. „Vielleicht war das hier ein ähnlicher Fall wie damals bei Rāmacandra, als Sītās Vater allen Werbern eine Aufgabe stellte, die eine normale sterbliche Seele unmöglich erfüllen konnte – Janaka verlangte, dass man den berühmten Bogen Śivas anheben und biegen sollte! Entweder wusste Janaka, dass seine Tochter Sītā niemand anderes war als die Glücksgöttin Lakṣmī und Rāma niemand anderes als der alldurchdringende und allmächtige Viṣṇu, oder er wollte gar nicht, dass seine Tochter heiratete.

Das könnte tatsächlich die Erklärung sein: der Vater will seine Tochter gar nicht verheiraten! O Śrī Viṣṇu, bitte hilf mir!“ Śantanu schaute flehentlich zum Himmel. Je länger er den Gedanken betrachtete, desto einleuchtender erschien er ihm. Er wusste, dass so etwas manchmal vorkam. Manche Eltern haben seltsame Pläne mit ihren Kindern. Und weil sie selbst nicht reich oder mächtig oder berühmt geworden sind, müssen dies ihre Kinder für sie erreichen. Und sie denken dann sogar noch, sie würden ihren Söhnen oder Töchtern einen Gefallen tun.

Aus dem Königreich Galia, das weit oben im Norden lag, hatte er einmal eine ähnliche Geschichte gehört. Dort hatte ein König namens Tīrthāngasuta den Freiern seiner wunderschönen Tochter die Aufgabe gestellt, seinen gelehrtesten Brāhmaṇa in dessen Aussagen zu widerlegen.

Das Ganze spielte sich wie folgt ab: der Brāhmaṇa Hṛdayānanda stellte eine These auf, von der er behauptete, dass er sie widerlegen könne. Nun mussten aber vorher die Diskutanten beweisen, dass sie die These ebenfalls widerlegen können. Nur wer dies vollbrachte, durfte an einem Turnier teilnehmen, in dem weitere knifflige Fragen zu lösen waren und man außerdem eine Vielzahl von Geschicklichkeitsübungen (von denen manche durchaus lebensgefährlich waren) zu meistern hatte. Was diese Fragen und Übungen genau waren, wusste niemand, denn bisher hatte es niemand geschafft, auch nur die erste Runde zu überstehen.

Hṛdayānandas Fragen und Auflösungen seiner Fragen waren auf dem ganzen Planeten berühmt und wurden gern in den gurukulas verwendet, um Schüler auszubilden. Teilweise waren sie sogar zu geflügelten Worten geworden. So hatte er einmal die These aufgestellt, dass die Königin dem König treu war. Niemand wagte es, die These zu widerlegen, entweder aus Unwissenheit oder aus Angst vor eventuellen Konsequenzen seitens des Königs.

Doch Hṛdayānanda hatte die These nicht nur tatsächlich widerlegt, sondern darüber hinaus in einer Art, die trotzdem keinen Zweifel an der uneingeschränkten Keuschheit der Königin ließ. Mehr noch, nach seiner Beweisführung klatschten alle, auch König und Königin, Beifall und riefen zum Zeichen ihrer Anerkennung „Sādhu, Sādhu!“.

Konnte es sich hier also um den Fall eines Vaters handeln, der Hürden errichtete, die niemand überwinden konnte? Śantanu lächelte in sich hinein, denn er erinnerte sich an einen Satz, den er fast täglich von seinen Lehrern gehört hatte: wenn du ein Problem in dieser Welt siehst, dann liegt der Grund für das Problem fast immer in nur drei Worten – ich, mir und mein.

„Stimmt!“, pflichtete Śantanu den Gelehrten bei, „weil die Eltern denken, dass Kind gehöre ihnen, meinen sie, sie müssten auch seinen Lebensweg bestimmen. Ich, mir und mein, so denken sie – mein Kind. Dabei sind wir doch alle nur Begleiter für ein Leben. Wer weiß, wo Devavrata im nächsten Leben sein wird und wer weiß, wo ich sein werde.“

Śantanu musste sich von seinen philosophischen Betrachtungen verabschieden, denn das Trio hatte die Insel erreicht. Das Floß legte am Landungssteg an und in dem Moment, als Śantanu die Insel betrat, fiel der Fischer lang ausgestreckt vor ihm zu Boden. Śantanu hob ihn auf und dankte ihm. Er musterte ihn aufmerksam, denn dies war der Mann, den es zu überzeugen galt. Der Herr der Insel war in etwa in Śantanus Alter, wenngleich es immer schwierig war, bei Menschen mit derlei sonnengebräunter Lederhaut eine Altersbestimmung vorzunehmen.

Aber er wirkte offen und freundlich. Die vielen kleinen Fältchen um seine Augen verrieten, dass ihm Heiterkeit wichtiger war als Trübsal, und dass er trotz der Einsamkeit dieser Umgebung kein mürrischer Einsiedler geworden war. Er war von mittlerer Statur, schlank, fast sehnig und seine Bewegungen waren geschmeidig, fast schlängelnd. Seine Gestik und Mimik erinnerte tatsächlich ein bisschen an einen Fisch, genauer gesagt an einen Delfin.

„Willkommen auf meiner bescheidenen Insel. Ich bringe euch meine achtungsvollen Ehrerbietungen dar. Bitte tretet näher. Mein Name ist Matsyarāja und ich bin ein einfacher Fischer, der das Handwerk der Fischerei von meinem Vater Timivan erlernte. Bitte tritt ein in meine kleine Hütte.“ Der Fischer gab seiner Tochter ein Zeichen, was offensichtlich bedeuten sollte, dass sie Wasser und ein paar Speisen zur Begrüßung der Gäste bringen sollte.

Die drei Männer betraten die Hütte und der Gastgeber geleitete seinen königlichen Gast zum einzigen Sitzmöbel, einer alten hölzernen Pritsche, auf der einige alte, aber saubere Decken lagen. Sunil blieb rechts vom Eingang stehen, bereit, jedwede Art von Dienst zu verrichten. Śantanu nahm dankend Platz und schaute sich kurz und möglichst unauffällig in der Hütte um. Reichtümer hatte der Fischer wahrlich keine angehäuft. Es gab lediglich einen Tisch, eine Liege, eine Art Regal mit Töpfen, Pfannen und Lebensmitteln, eine Kochstelle und einen Altar. Neben der Liege stand noch eine Truhe, deren Deckel hoch geklappt war und die dadurch den Blick auf verschiedene Bücher freigab. Śantanu vermutete, dass die Tochter die kleinere der beiden Hütten bewohnte.

Alles war einfach und sauber. Kein unnützer Pomp, keine seidenen Stoffe, keine Juwelen und goldenen Geschmeide, keine Diener, kein Hofstaat, keine raffinierten Speisen, aber auch keine Regierungsverantwortung, keine Sorgen, keine Kriege, die zu führen waren, keine Intrigen, die zu ertragen waren, keine Verantwortung für ein ganzes Volk. Natürlich führte die Fischersfamilie ein ganz anderes Leben als die königliche Familie, aber nicht unbedingt ein schlechteres. Reichtum, Schönheit, Ruhm und Macht konnten auch eine schwere Bürde sein.

In einem respektvollen Ton wandte sich der Fischer an seinen Gast, nachdem er vor ihm niedergekniet war: „O tugendhafter Herrscher, ich muss in meinen letzten Leben viele fromme Handlungen ausgeführt haben, dass ich dich nun in meinem Haus begrüßen darf. Willkommen. Ich bin dein ergebener Diener. Was verschafft mir die Ehre deines Besuches? Wie kann ich dir dienen?“ Und als Satyavatī mit zwei Krügen eingetreten war, fügte er hinzu: „Erlaubt mir, dass ich euch dieses Wasser anbiete. Gestattet mir, eure Füße vom Staub der Reise zu befreien und eure Zunge mit diesem köstlichen süßen Wasser zu erfrischen. Es ist von einer besonderen Quelle am südlichen Ufer.“

Śantanu nahm dankend den Becher mit Wasser an und bat darum, dass auch sein Diener versorgt werde. Dann trank er den Becher leer, sammelte sich und antwortete seinem Gastgeber, von dem er hoffte, dass er sein zukünftiger Schwiegervater sein möge. „Ich bin Mahārāja Śantanu, Herr über dieses Reich und alle Länder dieser Welt. Ich habe das Zepter von meinem ehrenwerten Vater, Seiner Majestät Mahārāja Pratīpa, erhalten und führe so die seit unvordenklichen Zeiten bestehende Tradition Hastināpuras fort. Das Königshaus der Kurus ist berühmt und geachtet in allen drei Welten.

Ich war auf dem Weg, den Berg im Osten dieses Sees aufzusuchen. Ich freue mich über deine gastfreundlichen Worte. Selbst ein einfacher Fischer weiß im Lande Hastinā, wie man einen Gast angemessen empfängt. Ich hoffe, deiner Familie und dir geht es gut. Kannst du deinen Lebensunterhalt bestreiten und deine Familie mit allem Notwendigen versorgen? Ich hoffe, dass du nicht von wilden Tieren behelligt wirst und du deine tägliche Verehrung der Götter mit Freude ausführen kannst.“

Matsyarāja, der noch immer mit gesenktem Haupt vor seinem König kniete, hob jetzt seinen Kopf und antwortete leise: „Mein König, ich weiß, wer du bist. Ich habe dich erkannt, denn ich habe Hastināpura an manchen Festtagen schon besucht. O Verteidiger des Dharmas, unter deinem Schutz blüht und gedeiht das gesamte Königreich. Dank deiner barmherzigen Führung kann ich ein angenehmes Leben führen, auch wenn meine Frau schon vor einigen Jahren gestorben ist. Ich lebe hier allein mit meiner Tochter, die du bereits kennst, denn sie war es, die dich zu mir gebracht hat.“

Śantanu atmete tief durch. Da war der Satz gefallen, auf den er gehofft hatte. Vater und Tochter lebten hier allein, ohne Schwiegersohn. Śantanu stand auf. Zum einen, weil das Lager aus Stroh, Gras und dünnen Decken unbequem war, zum anderen, weil die Worte, die er jetzt zu finden gedachte, gut gewählt sein mussten. Auch wenn er der König war, brauchte er doch die Segnungen des Vaters seiner zukünftigen Braut.

„Es ist letztendlich nicht mein Verdienst, dass du ein glückliches Leben führen kannst. Ich bin nur das Werkzeug in der Hand des höchsten Herrn. Es ist einzig und allein die Gnade Bhagavāns, der wir Glück und Leid zu verdanken haben. Hari kann uns beschenken, aber er kann uns auch wieder von allem befreien, was uns noch binden mag.“

Es war kein Zufall, dass Śantanu von allen Namen Viṣṇus ausgerechnet „Hari“ wählte, bedeutete dieser Name doch, dass der mächtigste aller Götter alles wegnehmen kann. Und dies von einer Sekunde auf die andere. Solch unfreiwillige Entlastung konnte sich einerseits auf Schwierigkeiten beziehen, die das Lebewesen schwer oder überhaupt nicht allein überwinden kann, es konnte sich aber auch auf materielle Besitztümer wie Verwandte, Freunde, Haus und Hof, Reichtum, Macht und dergleichen beziehen. Und auf Töchter.

Nein, es war kein Zufall, es war ganz genau berechnetes Kalkül. Schließlich hatte der König vor, den Segen eines Vaters für die Heirat seiner Tochter zu erwirken. Das war nie eine leichte Sache. „Deine Worte und die Worte deiner Tochter zeigen mir, dass du unserer alten Tradition folgst und die Veden studiert hast. Dies ist zwar ungewöhnlich für einen Fischer, aber umso lobenswerter.

Du wirst daher wissen, dass es keinen Zufall gibt. Wie die Weisen uns gelehrt haben, gibt es nicht einmal einen einzigen Grashalm, der sich nicht nach dem Willen Nārāyaṇas bewegt. In der gesamten belebten und unbelebten Materie wirkt Paramātmā, die höchste Seele, die die Welt im Innersten zusammenhält. Somit war es die Vorsehung, die mich heute an diesen See führte. Die Götter haben meine Schritte in dein Heim gelenkt und so stehe ich nun vor dir, um dich um etwas zu bitten.“

Śantanu wartete, ob sein Gegenüber etwas sagen wolle oder ob die Götter vielleicht noch ein Zeichen geben würden. Jetzt kam der alles entscheidende Augenblick. Der König betete zu Viṣṇu, der im Herzen eines jeden Lebewesens in Form des Paramātmās residiert, dass ihm der Herr die richtigen Worte finden lasse. Das Ganze war schwieriger als damals bei Gaṅgā. Da hatte er keinen Vater überzeugen müssen.

„O Vater Satyavatīs, ich bitte dich um die Hand deiner Tochter.“ Der Fischer, der noch immer leicht gebeugt und mit gefalteten Händen vor seinem Gast stand, straffte sich langsam und hob seinen Kopf. Er schaute seinem König direkt ins Gesicht und lächelte.

 
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