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Devavrata wusste, dass er jetzt an der Reihe war zu sprechen. Doch er ließ sich Zeit, schließlich gab es keinen Grund zur Eile. Die Sonne würde sich erst in einer Stunde in Marsch setzen, um langsam unter den Horizont zu wandern. Er hatte gut gespeist und würde nichts mehr zu sich nehmen müssen. Lediglich seiner heißen Honig-Ingwer-Milch, die er jeden Abend trank, würde er heute noch gestatten, seinen Magen aufzusuchen. (Es hatte ihn allerdings einige Wochen Übelkeit und Überwindung gekostet, bis er sich mit der irdischen Milch angefreundet hatte, da diese sich immens in Farbe, Geschmack und Wirkung von der himmlischen unterschied. Inzwischen hatte er sich daran gewöhnt und war zufrieden.)

Nein, es gab keinen Grund zur Eile. Kein Regenschauer drohte, kein Raubtier würde aus dem Wald hervorbrechen. Keine Pflicht wartete im Palast, die auch nicht morgen noch erledigt werden könnte. Er konnte diese Stunden mit seinem Vater genießen, ohne dass die täglichen Zwänge ihrer Ämter die konzentrierte Gelassenheit verschlangen. Weder gab es einen Grund, schon aufzubrechen, noch gab es einen Grund, sofort die Stille mit Worten zerteilen zu müssen.

Ganz im Gegenteil, Devavrata genoss diese Stille. Er genoss, wenn sich Ruhe über die Wiesen legte und Beschaulichkeit den Hain durchdrang. Er genoss, wenn die Geschwätzigkeit des Alltags hinter einem Schleier der Versenkung in den stetig langsamer werdenden Puls verschwand. Er genoss es, wenn es so still wurde, dass er, ganz leise und ganz entfernt, das Verrinnen der Zeit spüren konnte. Er sah dann eine riesige Sanduhr vor sich, in der unaufhaltsam und immer in der gleichen Geschwindigkeit der Sand nach unten rieselte.

Er genoss es, die Zeit an sich vorüberziehen zu lassen und sich der Vergänglichkeit alles Irdischen bewusst zu sein. Und er liebte es geradezu, darüber zu philosophieren, wie die Zeit als Element, als Urkraft des Universums, als Viṣṇus unbestechliche und unfehlbare Assistentin zwar ewig ist, dass aber dort, wo sie erscheint, plötzlich alles zeitweilig wird.


Viṣṇus Helfer, schnell und gütlich
Angeführt vom Rad der Zeit,
Unaufhaltsam, unermüdlich
Machen ātmān stets bereit,
Seine Früchte reich zu ernten,
Die er säte, Tat um Tat,
Von den jüngsten bis hin zu weit entfernten,
Alles wirkt, bis Handlung naht.
Keine Tat, die unvergessen,
Keine Tat, die ungesühnt,
Keine Tat ist zu vermessen,
Reife nicht aus ihr sich tadellos erkühnt.


„Selbst die ewige Zeit ist vergänglich“, war ein Satz, der ihm oft in solchen Momenten einfiel. Von dem großen Weisen Siddhantarāja, der hin und wieder Devavratas Planeten in den himmlischen Welten besucht hatte, stammte diese Weisheit und Devavrata hatte diesen Satz empfangen, als er kaum sechs Jahre alt war und gerade erst begann, die vielfältigen und sich oft anscheinend widersprechenden Aussagen der vielen überlieferten Schriften zu studieren, die auf der Erde im Allgemeinen als Veden bekannt waren.

Dieser Heilige war es auch, der ihm geraten hatte, über diesen Satz zu meditieren und zu versuchen, ihn in allen Facetten zu verstehen. Dies sei der Schlüssel zu Devavratas Vollkommenheit, hatte ihm der Weise offenbart. Von dieser großen Seele wusste Devavrata auch, wie mächtig und entspannend Stille sein konnte. Er hatte viel von dem Weisen gelernt, hinter dem sich, so war er sicher, ein großes Geheimnis verbarg. Dieser Weise strahlte eine Hingabe und Weisheit aus, die selbst auf den himmlischen Planeten außergewöhnlich war. Leider hatte der Göttersohn den Schleier des Unergründlichen, der den Sādhu umgab, noch nicht lüften können, aber die Lehren dieses Vaiṣṇavas hatten ihre Spuren in seinem Bewusstsein hinterlassen.

Natürlich gab es viele Weise auf den himmlischen Planeten, aber oft herrschte solch ein reges Treiben, dass es Devavrata schwergefallen war, sich auf diese Heiligen zu konzentrieren und sie anzusprechen, wenn er ihren Weg kreuzte. Dieser Geweihte Viṣṇus jedoch hatte ihn von Anfang an besonders fasziniert.

Dieser muni hatte etwas von einem Löwen. Mit ihm zu diskutieren war ziemlich ernüchternd, denn seine Argumente waren nicht nur schlüssig, sondern darüber hinaus immer mit Versen aus den Veden unterlegt. Sein Wissen über die Zusammenhänge im Universum schien geradezu grenzenlos. Er zitierte Worte von Heiligen und Verse aus Werken, von denen die Devas teilweise noch nicht einmal die Namen kannten. Gefürchtet war sein stechender Blick, mit dem er jene tadelte, die unsinnige Argumente vorbrachten oder gar die Existenz einer höchsten Macht in Frage stellen wollten.

Von diesem Sādhu hatte er viel über Stille gelernt. Stille war etwas Mächtiges, etwas Erhabenes. Stille war etwas Beruhigendes, etwas Heiliges. Stille war etwas Kostbares, etwas Gesundes, etwas Lebensnotwendiges, etwas Alldurchdringendes. Und Stille war etwas Seltenes, da unterschied sich die Erde nicht von Indra-loka. Devavrata fühlte sich umso wohler, je stiller es wurde. Er wusste, dass dies von allen Ständen nur die Gruppe der Brāhmaṇas verstehen würde. Die leidenschaftlichen Kṣatriyas betrachteten, bis auf wenige, zu denen Viṣṇu sei Dank auch sein Vater gehörte, diese Zeiten der Versenkung, des Treibenlassens im Fluss der Zeit, als ziemlich unnütze Angewohnheit. Von den Händlern, Bauern und Arbeitern ganz zu schweigen.

Kṣatriyas hatten immer etwas zu tun. Sie hatten immer irgendein Problem zu lösen oder irgendeines zu kreieren. Sie hatten immer irgendjemanden zu beschützen oder zu bekämpfen. Auch Devavrata war der Sohn eines Kṣatriyas, auch in ihm lebte ein leidenschaftlicher Krieger und Feldherr. Auch in ihm brannte das Feuer des Wettstreits. Auch er liebte es, sich mit anderen im Kampf zu messen, sie zu besiegen, sie zu unterwerfen. Auch er trug gern schöne Kleider und legte Wert auf sein Äußeres. Auch er war von stattlichem Körperbau und gern bereit, seine Muskeln im wahrsten Sinne des Wortes spielen zu lassen.

Auch sein Antlitz war edel in Konturen und Farbe, ebenmäßig und schön in Struktur und Proportion. Auch ihm missfiel außerordentlich die Vorstellung, sich das Haupthaar zu rasieren, wie es manche Brāhmaṇas und Yogis taten. Auch er liebte schöne Speisen, Musik, und Tanz. Und das Wichtigste – auch er hätte jederzeit sein Leben für den Schutz seines Volkes gegeben. All dies zeichnete ihn deutlich als einen Kṣatriya aus.

Aber sein Hang zu philosophischer Betrachtung, zu Ruhe und Gelassenheit, zur Distanz den Geschehnissen des Alltags gegenüber, seine Neigung zu Zurückgezogenheit, die ihm manchmal von seinen Freunden als Träumerei ausgelegt wurde, all dies wiederum ließ ihn als Brāhmaṇa erkennen.

Devavrata wusste, vielleicht sogar noch besser als sein Vater, dass Śantanu sich manchmal um seinen Sohn sorgte. Denn so sehr Śantanu diese nach innen gekehrte Seite seines geliebten Sohnes schätzte, und so sehr er davon profitierte, da er selbst gern über den Sinn des Lebens und des Universums nachdachte und selbst gern aus den Veden darüber hörte, so rührte Devavrata doch an einer Saite, die nach Zweifel klang. Denn Śantanu fragte sich, ob sein Sohn sich auf Dauer dem Leben eines Regenten hingeben wolle.

Śantanu wusste, wie jeder andere auch, dass der Prinz alle Fähigkeiten für diesen Posten in vollkommenem Ausmaße innehatte. Es war nie die Frage gewesen, ob er diese Position ausfüllen könnte. Aber würde Devavrata dieses Leben auch wollen? Obwohl Śantanu kein Nachlassen in der Beflissenheit und Pflichterfüllung seines Sohnes entdecken konnte, spürte er doch, oder zumindest meinte er zu spüren, dass Devavratas Verhalten und Lernbegierde eine gewisse Unernsthaftigkeit mit sich trugen. Es war nicht Spaß oder Blödelei als Gegenteil von Ernst. Es war auch nicht Unaufrichtigkeit oder Verschlagenheit als Gegenteil von Ernst. Es war nicht einmal Desinteresse und Heuchelei als Gegenteil von Ernst. Es war – schwer zu fassen, schwer zu verstehen.

Am ehesten war es wohl Losgelöstheit als Gegenteil von Ernst. Eine seltene Lösgelöstheit, die sich mit einer schier unerschütterlichen Zuversicht paarte. Śantanu glaubte, zumindest soviel verstanden zu haben: So sehr Devavrata auch in der Lage war, sich an irdische Gegebenheiten anzupassen, so spürte Śantanu doch zugleich, dass diese Seele nicht auf diesen Planeten gehörte. Devavrata kehrte nie heraus, dass er von einem höheren Planeten stammte und dass er in irgendeiner Art und Weise etwas Besseres sei. Trotzdem suchte er die Gemeinschaft gewöhnlicher Menschen nicht.

Śantanu wurde in diesem Moment, als er seinen Sohn betrachtete, wie er auf der violetten Decke lag und sein farbenfroher und reich bestickter, weißer dhoti sich von dem dunklen Grün des Waldes hinter ihm abhob, an das Beispiel der Lotosblume erinnert. Diese Blume dient in den Veden oft als Metapher und ist ein Symbol für Besonderheit, Vorzüglichkeit und Kostbarkeit.

So werden manchmal Menschen, die scheinbar im irdischen Dasein fest verankert sind, im Grunde genommen aber nur eine Art Rolle spielen, Menschen, die warten, dass das „Theaterstück“ endet und sie, im wahrsten Sinne des Wortes, wieder nach Hause gehen dürfen, mit einem Lotos verglichen. Denn dieser hat die Fähigkeit, nicht vom Wasser eines Sees berührt zu werden, obwohl die Wurzeln der Lotosblume in den Schlamm des Sees nach unten führen. Die Blüte der Lotosblume befindet sich immer eine Winzigkeit über der Oberfläche des Sees, und so scheint sie mit dem Wasser gleichzeitig verbunden und nicht verbunden.

Doch der Lotos hat noch eine weitere Fähigkeit, die ihm hilft, sich vom Wasser abzusondern. Selbst wenn einmal etwas Wasser auf die Blütenblätter spritzen sollte, ist es nur eine Frage der Zeit, wann dieses Wasser abperlen und wieder in den See zurückfließen wird. Dazu bringt den Lotos eine fast unmerkliche Schwingung, die ihn ständig durchdringt und die dafür sorgt, dass der ungebetene Tropfen früher oder später an ihm herab gleitet.

Es war, als ob Devavrata aus zwei Identitäten bestand. Dieser großartige junge Gott schien die Fähigkeit zu haben, sowohl ein vollkommener Kṣatriya wie auch ein vollkommener Brāhmaṇa zu sein. Wenn es seine Pflicht erforderte, war er zu allem bereit. Und das bedeutete, im wahrsten Sinne des Wortes, zu allem. Für sein Volk und für sein Dharma war er bereit, jederzeit sein Leben hinzugeben. In diesem Punkt war er ganz Krieger.

Doch allein diese Fähigkeit, für Stunden mit einer Person im gleichen Raum oder wie jetzt, an gleicher Stelle zu sein, ohne auch nur ein einziges Wort zu sprechen, war eine Sonderheit, die man unter gewöhnlichen Erdlingen nicht fand; wenn überhaupt, dann unter Brāhmaṇas oder Yogis. Im Allgemeinen werden Menschen auf der Erde nämlich nervös, wenn sich Stille ausbreitet, denn dann müssen sie ihren eigenen Gedanken zuhören. Oder sie denken, weil der andere schweigt, hätten sie selbst etwas falsch gemacht oder der andere wäre ihretwegen wütend oder ungehalten.

Die meisten Menschen denken, dass es ein Zeichen von Vertrautheit ist, viel miteinander zu sprechen, auch wenn es überhaupt nichts zu sagen gibt. Ihnen ist wichtiger, dass gesprochen wird, als was gesprochen wird. Die Zunge ist der Schlüssel in allen Yogasystemen. Ihre beiden Funktionen – sprechen und schmecken – sind schwer zu beherrschen. Es gibt eine Gruppe von Menschen (von denen weiß Viṣṇu nicht alle in Frauenkörpern stecken), die von morgens bis abends ununterbrochen reden können oder reden müssen. Das war auf der Erde so, und das war auf den himmlischen Planeten nicht anders.

Auch Devavrata konnte den ganzen Tag lang mühelos mit den Menschen reden. Mehr noch, er konnte sich auf eine Weise unterhalten, die dem anderen vermittelte, dass er respektiert und wahrgenommen wurde. Und Devavrata spielte in diesen Momenten seine Anteilnahme auch nicht, sie war echt. Sie entsprang seinem Charakter, seinem Respekt vor jedem Menschen, vor jedem Lebewesen. Sie kam von Herzen, aber sie kam nicht aus der Tiefe seiner Seele.

Śantanu ahnte all dies, das wusste Devavrata. Beide sprachen das Thema der Thronfolge nicht gern an, wenngleich beide wussten, dass es bald wieder angesprochen werden musste. Aber beiden, ohne dass der eine von den Gedanken des anderen wusste, schien eine innere Stimme zu sagen, dass es noch nicht an der Zeit sei, sich abschließend mit diesem Thema zu beschäftigen. Etwas in ihrem Herzen sagte ihnen, das sich alles eines Tages fügen würde.

 
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